Der Hai-Flüsterer
Praxislizenz 5. Sitzungsbeispiel (18.Sitzung) vom 24.7.03
Gedächtnisprotokoll
Klient berichtet, daß der gute Zustand, wie er ihn nach einer Sitzung immer habe, jetzt länger anhalte, sogar tagelang. Er fühle sich klarer und entschiedener. Er träumte in der Woche von Haien und schaltete auch im Fernsehen zufällig auf einen Film über Haie.
Ich wähle als Entspannungstext daher die „Reise ans Meer“ und spiele „Meeresrauschen“ ein.
KL: Befinde mich auf einem Floss und habe als Proviant ein Fass Wasser und eine Kiste Äpfel dabei. Ein junger Seehund (Inneres Kind des Klienten) besucht mich und stemmt seine Flossen auf den Rand des Flosses.
TH: Wollen Sie sich vorstellen und den jungen Seehund nach seinem „woher und wohin“ fragen? (direkte Ansprache)
KL: Der Seehund erzählt, dass er ihn hier entdeckt habe, weil er von seiner Familie aus, die draussen bei den Sandbänken lagert, auf Erkundungsfahrt geschwommen sei. Ich zeige ihm mein Floss, meine Vorräte. Ich mache Musik, indem ich auf das Wasserfass trommle und dazu singe und tanze. Mehrere Meeresbewohner, ich sehe Delphine, schauen verwundert zu. Dem Seehund gefällt es.
Der Seehund will mir jetzt sein Reich zeigen. Wir tauchen unter Wasser – ich habe keine Atemnot – und schwimmen ein Stück raus. Dort spielen wir zusammen, tauchen über- und untereinander weg, machen loopings vw und rw, drehen Spiralen, steigen aus dem Wasser auf, lassen uns treiben.
TH: Wie heisst Ihr kleiner Freund denn? Vielleicht stellt er Ihnen seine Familie vor? (Verbindung zu seinem verspielten Inneren Kind anreichern, verstärken).
KL: Er heisst „Mucki“. Wir machen uns jetzt auf den Weg zu seiner Familie, nachdem ich mich etwas gestärkt habe.
Wir schwimmen jetzt los......In der Ferne sehe ich einen riesigen Schatten.......jetzt sehe ich: es ist ein Hai. Er hat uns noch nicht gesehen.......er ist ca. 50 m entfernt.......er dreht ruhig seine Runden.
TH: Wie wirkt der Hai auf Sie? Auf Ihren kleinen Freund? (Grundstimmung testen).
KL: Solange er uns nicht im Visier hat, geht es. Mucki wird hibbelig, ängstlich, panisch.
TH: Was wollen Sie tun? (Initiative aktivieren).
KL: Ich beruhige Mucki, streichle ihn und beobachte den Hai. Mein Mucki möchte jetzt weg, er hält es nicht mehr aus, will fliehen.
Ab hier Einsatz der Lupe:
TH: Welche Tendenz haben Sie? (Test, welcher Bewusstseinsanteil des Klienten aktiv ist).
KL: Ich habe keine Fluchttendenz, ich bleibe hier und schiebe mich zwischen Mucki und den Hai, so dass er sichtgeschützt ist und fliehen kann. Ich wundere mich, dass ich keine Luft brauche – bin im Moment ein Fisch. Der kleine Mucki flucht noch, dass er immer in so eine Scheisssituation reinrasseln muss und verschwindet (Verzichte bzgl. der „Scheisssituation“ auf die Frage: „woher kennnen Sie das“?, um den Klienten nicht von der Begegnung mit einem „Schwergewicht“ seiner Persönlichkeitsanteile abzulenken.
Ich schwimme langsam auf den Hai zu.........er sieht mich.......ich sehe ihn. Er ist ein ziemliches Kaliber. Wir taxieren uns gegenseitig, wie im Tierreich, wenn Imponiergehabe und Drohgebärden, z.B. bei Elefanten ausgetauscht werden.
TH: überlege, ob ich den grandiosen Persönlichkeitsanteil des Klienten in die angesprochene Elefantenform wechseln lassen soll, weiss aber auch, dass das Medium Wasser für die Gefühlsabläufe dienlicher ist, was der Klient auf meine Nachfrage hin auch bestätigt.
KL: Ich bin jetzt plötzlich unter dem Hai (Klient wagt sich noch eine Stufe tiefer oder nähert sich dem verletzlichen Bauch des Tieres?) und sehe ihn nun über mir.......sein Maul, seine messerscharfen Zähne.......
TH: gebe meinem Schauer Ausruck und stöhne auf, um dem Klienten mein „Mitgehen“ zu signalisieren.
KL: ......das seltsame ist nur: ich habe keine Angst.
TH: Wollen Sie das dem Hai sagen oder bei sich bleiben? (Y-Frage).
KL: Ich will für mich bleiben. Um stark zu bleiben, keine Zweifel aufkommen zu lassen, tue ich erst mal nichts.
Jetzt schwimmt er hektischer.......jetzt macht er einen Scheinangriff auf mich zu.....wirft den Kopf zurück........reisst sein Maul auf.......kommt aber nicht bis auf mich ran.........
TH: unterstütztend: Jetzt ist er der Aktivere, der nicht bei sich bleiben kann.....
KL: Ja. Jetzt mache ich, wie die Hundebesitzer, ein Handzeichen für STOP. Fühle mich dabei ruhig und entschieden.
TH: Wie reagiert der Hai?
KL: Wendet verlegen den Kopf........
TH: Wie in einer Art Übersprungshandlung?
KL: Ja, er kann mir nichts antun........er kann mich nicht fressen........jetzt reicht es ihm, er dreht ab und verschwindet. (Bewusstes „Ich“ des Klienten hat gegenüber dem „Allmachts-Ich“ des Kienten die Ruhe bewahrt: Musterkippung).
TH: Ist er wirklich verschwunden? (Testfrage)
KL: Ich will jetzt zurück aufs Floss...... er schliesst sich mir an, aber ohne Kampfeslust.
TH: Sie waren jetzt der Stärkere........
KL: Ja, das macht ihn neugierig. Bisher war er der unumschränkte Herrscher des Meeres. Er hatte keine Feinde aber eben auch keine Freunde. Er war allein.
TH: Und jetzt hat er jemanden gefunden, der auch stark ist, der für ihn dadurch interessant ist. Was tut sich?
KL: Er bleibt in Respektabstand..........die Stimmung ändert sich. Wir schauen uns an und erkennen uns, ohne Worte.
Ich schwimme zu ihm, schaue ihm ins Auge und und fasse ihn an.
TH: weich: was ist das für ein Gefühl?
KL: bewegt: Ich denke: so ein wilder Kerl und so ein weiches Herz. Es tut ihm gut, gestreichelt zu werden. Er rollt sich auf den Rücken, um am Bauch gekrault zu werden – an seiner verletzlichen Stelle.
Jetzt überlege ich, was er für mich tun könnte. Ich glaube, ich will auf ihm reiten.
TH: Scharf: Haie reiten.......
KL: Er schaltet den Turbo ein und düst ab. Es macht einen Heidenspass. Wir reiten Rodeo, drehen, Schrauben, versuchen Looping vw und rw.
TH: Wie heißt Ihr neuer Freund denn? (Aufforderung an den Klienten, Verantwortung für seinen Freund zu übernehmen.)
KL: High, wie man´s spricht. Wir besuchen die Sandbank, wo Mucki mit seiner Familie wohnt. Mucki schwimmt her, und fragt, was ich denn mit dem gemacht hätte?
TH: Wollen Sie die beiden miteinander bekannt machen? (beide Energien, hier die Kinder- und Allmachtsstimme, miteinander konfrontieren.)
KL: Ich nehme Mucki an der Flosse und schwimme auf High zu. Der Hai ist genauso aufgeregt wie Mucki (Das Allmachts-Ich des Klienten findet es spannend, mit dem Inneren Kind des Klienten konfrontiert zu werden.)
Hier ist mein Freund Mucki – hier ist der Hai. (Klient ist mit seinem Inneren Kind identifiziert.)
Mucki schmiegt sich ängstlich an mich, ich muß ihn in den Arm nehmen. Der Hai steht so unter Spannung, daß er sich bewegen muß. Er schüttelt, er dreht sich, macht unter Wasser Wellen. So ein richtiges Gorillagehabe, er zeigt, daß er ein großer Kerl ist. (Die Kind- und Allmachtsenergie des Klienten erzeugen naturnahe Ausdrucksformen von Tierverhalten.)
Mucki möchte ihn auch mal anfassen. Ich beruhige den Hai, damit sie sich näher kommen können.
Mucki schwimmt jetzt über den Hai und klatscht mit seiner Flosse auf den Kopf des Hai´s. Der Hai meint, daß das kitzelt. Es kommt jetzt etwas spielerisches hinein, der Hai bewegt sich spielerisch. (Die Allmachtsstimme des Klienten wird verspielt. Sie ist jetzt souverän genug, dies zulassen zu können.)
Mucki wandert jetzt seinen Rücken entlang und läßt sich auf dem Kopf des Haies nieder. Er kommt sich jetzt ganz groß vor – er will ihn jetzt reiten.
Der Hai ist einverstanden. Also: Mucki sitzt vor mir, ich lehne mich an die Schwanzflosse des Hai´s, dann fliege ich nicht hinten raus. Ein irres Gespann. Wir schwimmen an der Familie vorbei. Der Kleine wird jetzt mopsig, winkt seiner Familie locker zu und ruft: keine Angst vor großen Tieren.
Die schauen mit offenem Mund zu, schütteln die Köpfe und sagen: wir wußten schon immer, daß er verrückt ist.
TH: Ja, ja, die gesellschaftlichen Normen...... (Rückverbindung zur Aussenwelt.)
KL: Jetzt spüre ich auch eine Stimme, die sich immer mehr in mir ausbreitet und mir vorwirft, was ich hier für einen Blödsinn produziere, hier so rumzualbern. Erst kommt die Arbeit, dann das Spiel! Spürt dabei Kopfweh.
(die Gegenbewegung zur neu gewonnenen Freiheit setzt ein.)
TH: Wer sagt das?
KL: Mein Innerer Kritiker.
TH: Will er sich jetzt zeigen oder kann er warten?
KL: Ich mache mit ihm ab, daß ich jetzt erst meine Freunde verabschiede und dann mit ihm spreche.
Bitte den Hai, mich und Mucki zum Floß zurückzubringen. Mucki will noch aufs Floß, aber der Hai ist dann sauer, weil er benachteiligt ist. Er kann schlecht aufs Floß. Ich nehme ihm das Versprechen ab, Mucki und seine Familie in Ruhe zu lassen, nicht mehr in das Muster „Jäger-Gejagter“ zu verfallen.
Er grummelt gutmütig, wie Obelix......ich muss jetzt nicht mehr ausgleichen zwischen den beiden, muß nicht mehr als Puffer dabei sein. (Neugebahntes Bewußtsein übernimmt automatisch die Regulation.)
TH: Was sagt der Kritiker dazu?
KL: rekapituliert: Du hast wie eine Schlingpflanze deine vielen Arme um mich gelegt und hast versucht, mich von Mucki und High wegzuziehen. Du hast gesagt, ich arbeite zu wenig, ich mache nur Spielchen. Läßt ihn sprechen: In meinen Augen verlierst Du Dich da. Wo soll das hinführen? Du blödelst nur rum. Wo bleibt da die Ernsthaftigkeit? Du darfst es Dir nicht so leicht machen! Ohne Anstrengung – Du lebst einfach in den Tag hinein. Ohne Schweiss keinen Preis!
TH: Wer sagt das? (Aufrufen der Stimme.)
KL: Mein Vater.
TH: Hat der schon einen Hai geritten?
(Demonstriere dem Klienten meine Schlagfertigkeit, um ihn von der „Schlagfertigkeit der Spielchen“ zu überzeugen, die wir gerade miteinander „gespielt“ haben.)
KL: Nicht das ich wüßte.
TH: Sagen Sie ihm, was Sie gerade gemacht haben. (Erfolgsgefühl des Klienten festigen.)
KL: Ja Vater, ich habe gerade mit extrem unterschiedlichen Tieren gespielt. Es war leicht und spielerisch und sie können es sogar miteinander. Ich habe mich nicht angestrengt.
Wie hättest Du das gemacht? Mit Deiner Ernsthaftigkeit wäre das für Dich ´ne ziemlich anstrengende Sache gewesen. Du hättest Blut und Wasser geschwitzt und hättest am Ende nur das gleiche – wenn überhaupt, zustande gebracht. Und Haie mögen Blut – wahrscheinlich wärst Du weg! (Klient probiert seine neuen „Muskeln“ aus.
TH: Genau!
KL: nachdenklich: Ich möchte ja Deine Arbeit, deine Art zu Arbeiten, nicht gänzlich in Frage stellen, aber ich glaube, ein bisschen Zweifel ist erlaubt. Du siehst ja, was ich fertig gebracht habe, spielerisch, ohne Anstrengung. Es war schön und hat Spaß gemacht. Es war irre abenteuerlich.
Mit Ernst und Schweiß hätte ich das sicher nicht erreicht. Der Hai war mir weit überlegen.....
Ich weiß nicht, worauf Du hinauswillst. Es kann doch nicht sein, daß Du willst, daß ich alles mit Ernst und Anstrengung und Verbissenheit tue – angestrengt bin, und mich dabei quäle.
Oder hast du noch ein anderes Ziel? Warum willst du mich bremsen? Das fühlt sich nach Selbstzweck an, so daß alles mit Anstrengung und Quälerei verbunden sein muß. Selbst der Spaß muß Arbeit sein. (Ist der Vater meines Klienten Mitglied in einem Kölner Karnevalsverein?)
TH: Ist das ein Muster Ihres Vaters? (respektive des Klienten)
KL: Bist Du da fixiert, daß Du das gar nicht mehr frei beurteilen kannst? Das bringt mich in Bedrängnis. Ich spüre, daß Du willst, daß alles verdient sein muß und das Spiel nicht erlaubt ist, daß das nicht sein darf.
TH:Hat Ihr Vater mit Ihnen als Kind gespielt?
KL: Ich glaube, ich soll unterscheiden, welches Ziel ich habe. Gerade eben war ja nichts vorgegeben.
Vater, ich mache Dir einen Vorschlag: es ist wichtig, daß Du hellwach bist und mich anstubst. Aber daß wir auseinanderhalten, daß Dinge, wo ich etwas erreichen will, wo man Vorarbeit leisten muß, lernen, sich vorbereiten muß, daß Du da anwesend bist, damit ich konzentriert bleibe.
Und daß es dann aber Teile gibt, die sich aus sich heraus entwickeln und wo es kein bestimmtes Ziel gibt. Wo man testet, ausprobiert, forscht, spielt. Einfach unterscheiden zwischen Arbeiten und Spielen, daß Du mich beim Arbeiten erinnerst, daß ich das Beste erreiche...
TH: ergänzt: Beim Spielen kann ich Dich dann unterstützen. (Ich vermittele ein Gleichgewicht der Energien.)
KL: Ja, wenn ich spiele, lass´ mich bitte in Ruhe. liebevoll: Und wenn Du willst, zeig´ ich Dir ab und zu mal ein Spiel, zeige Dir, wie Spielen geht. Dann kannst du Dich von Deiner Arbeit ausruhen.
TH: Ist er einverstanden?
KL: stöhnend: Es ist etwas vollkommen neues für ihn (auch für den Klienten).
Er ist aber bereit, es auszuprobieren (Innerer Kritiker des Klienten ist auch zum Spiel, zum Ausprobieren bereit. Der Klient hat ihn vom Sinn des Spielerischen überzeugt. Gratulation an Klienten und an mich! Dies war eine Groß-Sitzung).

Ergebnis: Ein Grund für Depressionen sind neben der zu geringen Fürsorge durch die Eltern auch die dadurch entstandenen Allmachtsphantasien/gefühle des Klienten. Er schwankt zwischen Allmachts- (unterdrückte Kräfte in „deprimierter“ Form) und Hilflosigkeitsgefühlen (der Seehund als Energieausdruck für die Verletzlichkeit seines Inneren Kindes) hin und her. Dadurch, daß der Klient in Kontakt mit seinem Allmachtsgefühl – dem Hai, offensichtlich einem Schwergewicht seiner Persönlichkeitsanteile – und seiner Verletzlichkeit kommt, ist er für viele Tage von seinen Depressionen befreit.
Die Energie, die der Klient zur Erzeugung seiner Depressionen einsetzte, kann er nun für das Leben einsetzen. Danach 6 Wochen Pause wegen Sommerferien.